„Wir suchen Familien für Kinder“
Das Team des Pflegekinderdienstes (Foto: Landkreis Saarlouis / Yannick Hoen)
Was bedeutet das eigentlich, ein Kind zur Pflege in der eigenen Familie zu betreuen? Beim ersten Infoabend des Pflegekinderdienstes für 2025 berichteten am 23. Januar im Großen Sitzungssaal des Landratsamtes eine Bereitschaftspflegemutter, eine Vollzeitpflegemutter und ein mittlerweile erwachsenes Pflegekind aus ihrem Alltag im Leben einer Pflegefamilie. Der Infoabend wurde von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Pflegekinderdienstes begleitet.
Wie lange bleibt ein Kind in der Bereitschafts- und in der Vollzeitpflege? Wie gestaltet sich der Kontakt zur Ursprungsfamilie? Gibt es Altersgrenzen für Pflegeeltern? Wie sieht es mit finanzieller Unterstützung aus? Die interessierten Besucherinnen und Besucher nutzten die Möglichkeit, dem jungen Team des Pflegekinderdienstes in entspannter Atmosphäre ihre vielfältigen Fragen zu stellen. Denn es gibt einiges zu klären, bevor man sich dazu entscheidet, in den mehrstufigen Bewerberprozess als Pflegefamilie zu gehen.
„Für meine Familie und mich war klar, dass wir uns wünschen, dass ein Pflegekind möglichst lange bei uns bleibt“, erzählte eine Vollzeitpflegemutter. Vor 10 Jahren nahm sie ihr damals zweijähriges Pflegekind auf, im Laufe der Jahre kristallisierte sich zunehmend heraus, dass das Kind auch auf Dauer in der Pflegefamilie bleiben werde. „Der Gedanke, dass sie wieder hätte gehen können, hat bei mir ganz schön Herzklopfen verursacht. Wir sind sehr dankbar, dass sie bei uns ist.“ Auch wenn der Alltag nicht immer einfach sei: „Ein Pflegekind bringt ganz eigene und andere Themen mit als die eigenen Kinder, die in einem stabilen und sicheren Umfeld groß geworden sind. Und die Themen kommen immer wieder, oft in Varianten und an anderer Stelle als gedacht.“ Das könne eine Herausforderung für die Familie, vor allem auch für die Geschwisterkinder sein – aber eine Herausforderung, an der alle miteinander wachsen können. Bereut habe sie die Aufnahme ihres Pflegekindes jedenfalls nie, sagte sie bei der Veranstaltung.
„Wir legen großen Wert auf die Integration der Geschwisterkinder“, betonte eine Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes. Bei einer Vermittlung werde immer darauf geachtet, dass die natürliche Geschwisterfolge beibehalten wird. Somit beugt man vor, dass ein bereits vorhandenes Kind ‚seinen‘ Platz in der Familie verliert, was zu Konflikten führen kann. Das Pflegekind sollte dementsprechend immer das jüngste Kind in der Familie sein.
Wie die Vollzeitpflegemutter schilderte, war es für sie eine Herausforderung, die Enttäuschung des Pflegekindes zu begleiten, da der Besuchskontakt zur Ursprungsfamilie nicht so intensiv und nicht so häufig zustande kam, wie es sich das Kind gewünscht hätte. Aber auch dieses Kennenlernen der Lebensrealität sei wichtig, um der Vorstellung zu begegnen, die Ursprungsfamilie sei das perfekte familiäre Umfeld ohne Probleme, so der Pflegekinderdienst. In den meisten Fällen finde jedoch ein regelmäßiger Kontakt statt. Denn dieser sei ein wichtiger Schritt bei einer möglichen Rückführung in die Ursprungsfamilie.
„Bei einer Vollzeitpflege besteht ja immer die Hoffnung, dass das Kind unter Umständen doch auf Dauer bleiben kann. Aber gerade dieser Aspekt der Bereitschaftspflege, dass ein Kind auf jeden Fall wieder gehen wird, hat es mir erleichtert, mich auf diese Art der Pflege einzustellen und einzulassen“, berichtete eine Frau, die sich bewusst mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern dafür entschieden hat, Bereitschaftspflegefamilie zu werden. Seit 2019 nehme die Familie regelmäßig Kinder zur Bereitschaftspflege auf. Bereitschaftspflege wird verstanden als eine vorläufige Schutzmaßnahme für Kinder und Jugendliche, die sich in einer krisen- und konflikthaften Übergangssituation befinden. Aber planbar ist es trotzdem nie, wie lange eine Übergangssituation dann tatsächlich andauern werde. Wie die Bereitschaftspflegemutter berichtete, sei ihr aktuelles zweijähriges Pflegekind nun bereits seit 18 Monaten in Pflege. Über die Aufnahme eines neuen Kindes berät die Pflegefamilie immer gemeinsam. Manchmal dauere es ein wenig, bis man sich nach einer Rückführung wieder auf ein neues Kind einlassen könne, so die Bereitschaftspflegemutter. „Alle Mitglieder der Familie müssen mit an Bord sein, wenn man sich dazu entscheidet, ein Pflegekind aufzunehmen. Das gilt auch und vor allem für leibliche Kinder.“ Ihre Motivation, sich als Familie in der Bereitschaftspflege zu engagieren, rühre auch daher, dass ihr Ehemann selbst als Pflegekind gute Erfahrung gemacht habe.
„Ich kam als Pflegekind in meine Familie, als ich gerade 6 Wochen alt war“, berichtete eine junge Frau. „Meine Pflegeeltern sind meine Mama und mein Papa, ich habe meine Ursprungsfamilie nie kennengelernt.“ Ihre leibliche Mutter sei bei ihrer Geburt noch sehr jung gewesen, daher wurde sie bereits als junger Säugling vermittelt. Ihre Pflegeeltern seien immer transparent damit umgegangen, dass sie nicht ihr leibliches Kind sei. „Mich hat das nie gestört, ich kannte das ja nicht anders.“ Mit dem Pflegekinderdienst ist ein enges, freundschaftliches Vertrauensverhältnis entstanden und geblieben. So eng, dass sie nun die jährliche Ferienfreizeit, die der Pflegekinderdienst den Pflegekindern anbietet, als Betreuerin begleitet.
„Wenn alles gut läuft, sehen wir uns nur einmal im Jahr zum Hilfeplangespräch“, erläuterte eine Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes. Das sei allerdings die Ausnahme, in der Regel besteht – auch in einer jahrelangen Vollzeitpflege – regelmäßig Kontakt mit dem Jugendamt. Aber nicht im Rahmen einer Kontrollinstanz, sondern als Hilfe- und Unterstützungsangebot: „Wir drängen uns selten auf, aber wir bieten uns immer an“, lautet die Devise. Denn der Pflegekinderdienst hat viel Erfahrung mit den unterschiedlichsten Konstellationen und kann mit vielen Tipps in schwierigen Situationen weiterhelfen – und oft ist der Weg in andere Institutionen über das Jugendamt ein wenig kürzer oder es kann direkt die richtige Anlaufstelle vermittelt werden.
Die Unterstützung des Jugendamtes ist vielfältig, bspw. finden Themenabende, Gesprächskreise für Pflegeeltern und Sommerfeste für Pflegefamilien statt. Der ungezwungene Austausch und der Kontakt zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern steht dabei im Vordergrund. Einmal im Jahr bietet das Jugendamt außerdem eine einwöchige Ferienfreizeit für Pflegekinder ohne ihre Pflegeeltern an. Übrigens stimme das Gerücht, man könne mit Pflegekindern nicht in den Urlaub fahren, so pauschal nicht, erläuterte eine Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes auf Nachfrag. Auch Auslandsreisen in sichere Länder seien möglich, bedürfen aber der Absprache. Eine transparente, offene und ehrliche Kommunikation ist auch hier Voraussetzung. Denn die elterliche Sorge liegt weiterhin bei den leiblichen Eltern. Sie können vieles entscheiden, wenn auch nicht alles. Ein Beispiel dafür wäre der Übergang in die weiterführende Schule. Während die leiblichen Eltern die Schulform bestimmen, können die Pflegeeltern den Schulort wählen. Auch bei gesundheitlichen Themen wie Impfungen oder Operationen hat die Ursprungsfamilie das letzte Wort.
Kommunikation spielt auch eine große Rolle, wenn es um das sensible Thema der Rückführung in die Ursprungsfamilie geht. „Wir sagen Ihnen alles, was wir wissen“, erklärte ein Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes. Und dazu gehört auch das oberste Ziel in der Pflegefamilie: die Rückführung in die stabile Ursprungsfamilie. Ob und wann die stattfinden wird, kann niemand vorhersagen. „Man muss sich immer vor Augen führen: Die allermeisten Eltern entscheiden sich nicht gegen das Kind, ihnen fällt die Trennung sehr schwer. Sie sind in einer Ausnahmesituation und benötigen Hilfe. Ich lege daher immer Wert auf einen freundschaftlichen Umgang mit der Ursprungsfamilie. Denn wir sitzen im gleichen Boot: Wir wollen in einer schwierigen Situation das Beste für das Kind, das für die Umstände am allerwenigsten kann“, erläuterte die Bereitschaftspflegemutter.
Im Bewerberverfahren legt der Pflegekinderdienst daher auch großen Wert darauf, dass ein unerfüllter Kinderwunsch nicht die einzige ausschlaggebende Motivation ist. Denn dann wäre die Adoptionsvermittlung die richtige Anlaufstelle. „Wir suchen Familien für Kinder, nicht Kinder für Familien. Das muss allen klar sein, die sich als Pflegefamilie bewerben möchten.“
„Wir wünschen uns einen Pool an Pflegefamilien, um kurzfristig auf die individuellen Bedarfe der Pflegekinder eingehen zu können“, erläuterte eine Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes. Sowohl Bereitschaftspflegefamilien als auch Vollzeitpflegefamilien werden dringend gesucht, da die Bewerberzahl in den letzten Jahren leider rückläufig war. Je kleiner das Kind, umso wichtiger ist die Vermittlung in ein familiäres Umfeld. Aber auch Kinder im schulreifen Alter, die in einer Wohngruppe untergebracht werden können, würden oft von einem familiären Umfeld profitieren.
Die Aufnahme eines Pflegekindes egal welchen Alters erfordert in jedem Fall ein hohes Maß an zeitlicher Flexibilität von den Pflegefamilien. Grundsätzlich entsteht sofort mit der Aufnahme eines Pflegekindes ein Elternzeitanspruch, allerdings kein Anspruch auf Elterngeld. Prinzipiell sei eine Berufstätigkeit für die Bindungspersonen möglich, allerdings solle vor allem am Anfang gewährleistet sein, dass eine Bindungsperson rund um die Uhr für das Kind zur Verfügung stehe, um dem Kind das Ankommen in der neuen Lebenssituation zu erleichtern.
„Die Kinder merken von Anfang an, was Sache ist“, berichtet die Bereitschaftspflegemutter. In die Bereitschaftspflege werden Kinder aus einer Notsituation heraus von jetzt auf gleich vermittelt. Wenn dann aus der Bereitschaftspflege bspw. in die Vollzeitpflege weitervermittelt werden muss, wird eine etwa drei- bis achtwöchige Anbahnungsphase eingeplant, in der die Kinder alters- und situationsabhängig Kontakt und Bindung zu den Pflegeeltern aufbauen. Wenn ein Kind dann längere Zeit in der Pflegefamilie geblieben ist und eine Betreuungseinrichtung oder eine Schule besucht, dann spricht auch nichts gegen eine Berufstätigkeit der Bindungsperson.
„Wir gehen einen Pflegevertrag ein, das Jugendamt und die Pflegefamilie werden dadurch zu Kooperationspartnern. Dafür erhält die Pflegefamilie das Pflegegeld, weitere finanzielle Unterstützung kann auf Antrag genehmigt werden“, berichtete ein Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes. Das Pflegegeld stellt eine Unterstützung dar, aber keine Lohnersatzleistung wie das Elterngeld. Die Höhe des Pflegegeldes ist vom Gesetzgeber festgelegt und richtet sich nach dem Alter des Pflegekindes.
Die Erfahrungsberichte des Abends zeigten deutlich: Sich als Pflegefamilie zu engagieren, ist eine außergewöhnliche Aufgabe, in gleichem Maße herausfordernd wie sinnstiftend. Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit und eine ausgeprägte soziale Ader sind Faktoren, die zwingend notwendig sind, damit eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Pflegekinderdienst, Ursprungsfamilie und Pflegefamilie gelingen kann.
Am Freitag, 16. Mai 2025, um 10 Uhr und am Sonntag, 16. November 2025, um 10 Uhr sind bereits weitere Infotreffen des Pflegekinderdienstes geplant. Unter Tel. 06831/444-951220 stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes für Rückfragen zur Verfügung. Weitere Informationen sind hier zu finden.
Kontakt
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Adoptionsvermittlung / Pflegekinderdienst
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Telefon: 06831/444-951220
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